Das Soleil d’Or by David Geisser (Benjamin Geissers Bruder) liegt an der Haldenstrasse in St. Gallen – ein zweistöckiger Raum mit markanter Bar, warmen Holztönen und einem eleganten, zurückhaltenden Design. Seit der Eröffnung im Oktober 2024 führt Benjamin Geisser (26) dort die Küche. Bei der Gala in Lausanne erhielt Geisser den MICHELIN Young Chef Award, vergeben von Blancpain. Die Inspektorinnen und Inspektoren sind von seiner aufwändigen und durchdachten Küche begeistert. Das Restaurant wurde in diesem Jahr auch erstmals mit einem MICHELIN Stern ausgezeichnet.
Die Küche im Soleil d’Or verbindet regionale Bezüge mit weltoffenen Einflüssen. Die Handschrift ist französisch geprägt, zugleich ausgesprochen kreativ: finessenreiche Gänge, präzise Techniken, sorgfältig ausgewählte Produkte und optisch klare Präsentationen. Das Menü folgt stets einem übergeordneten Thema – vom Märchen über Gemälde bis zu Jules Verne – und wird in drei bis fünf Gängen serviert, ergänzt durch kleine Extras. Die Weinkarte ist international ausgerichtet; alternativ bietet das Team eine kreative alkoholfreie Cocktail-Begleitung aus eigenen Essenzen.
Im folgenden Gespräch erzählt Benjamin Geisser von seinem Weg über Zürich und Sylt zurück in die Schweiz, von seiner ersten Küchenchefrolle und davon, wie thematische Menüs sein Verständnis von moderner Küche prägen.
Benjamin, wie hat Ihr beruflicher Weg begonnen?
„Ich habe in Zürich meine Ausbildung gemacht, im Dolder Grand. Das war eine tolle Zeit – alle Stationen von Bankett bis zur Pâtisserie mit Christian Hümbs. Von 2017 bis knapp 2020 war ich dort. Ich konnte super viel miterleben, gerade auch durch das Pop-up von Heiko Nieder, viele tolle Gastköche kennenlernen. Die Ausbildung dort machen zu dürfen, war ein grosses Privileg. Dort habe ich entschieden, dass die Fine-Dining-Küche das ist, was mich am meisten anspricht – diese Arbeit mit der Pinzette, diese Liebe zum Detail, das fasziniert mich.
Danach wollte ich eigentlich in die USA, nach New York. Dann kam Corona. Man konnte nicht mehr reisen, die Visa wurden gestrichen. Gleichzeitig habe ich mitbekommen, dass Sylt als Testregion wieder aufmacht – das erste, was gastronomisch wieder hochgefahren wurde. So bin ich dann kurzerhand mit einer Initiativbewerbung in den Söl’ring Hof gekommen. Ich war dort zweieinhalb Jahre – zuerst unter Johannes King, was super interessant war, und dann lange bei Jan-Philipp Berner. Das war eine wunderschöne Zeit – zweieinhalb absolut geniale Jahre. Das war sehr spannend, den Wechsel von Johannes King zu Jan-Philipp Berner mitzuerleben, wie sich etwas verändert und wie der Stil trotzdem im Haus bleibt.
Von Jan-Philipp konnte ich extrem viel mitnehmen: diese Gastfreundschaft – nicht nur das Kochen, sondern wirklich Gastgeber sein. Einfach nur Hammer. Danach hat es mich wieder in die Schweiz verschlagen. Ich bin Schweizer, in Zürich aufgewachsen. Ich bin wieder ins Dolder zurückgegangen und habe dort ein Pop-up mit einem libanesischen Küchenchef, Firas El-Borji, geleitet. Mal etwas anderes als Pinzettenküche – traditionelle libanesische Küche. Das fand ich super spannend.
Dann bin ich noch einmal zurück nach Sylt, weil mich das Meer und die Insel so in den Bann gezogen haben. Ich bin aber nicht zurück in den Söl’ring Hof, weil ich Angst hatte, alles zu vergleichen. Ich wollte die Zeit so in Erinnerung behalten, wie sie war. Also bin ich ins KAI3 zu Felix Gabel im Hotel Budersand. Auch ein Sternerestaurant, auch eine wunderschöne Zeit. Ich war dort knapp ein Jahr.
Und dann hat mich mein Bruder David per Facetime angerufen, im August 2024. Er hat mir damals noch nicht das Soleil d’Or, sondern einfach das Restaurant gezeigt – und meinte, wir könnten da etwas Cooles machen, ich könnte Küchenchef werden. Es hat keine zwei Sekunden gebraucht, und ich habe gesagt: Ja, das mache ich!
Im Oktober 2024 bin ich dann zurück in die Schweiz gezogen, nach St. Gallen. Ich hatte drei Monate Zeit, das ganze Restaurant so hinzubekommen, wie es jetzt ist – Lieferanten, Team zusammenstellen, Weinkarte, alles. Nach zwei Monaten haben wir geöffnet und sind jetzt seit elf Monaten da. Und wir durften viele Auszeichnungen entgegennehmen. Jetzt nach zehn Monaten einen MICHELIN Stern – plus den Young Chef Award – ich bin absolut sprachlos. Das gibt so viel Energie und Motivation, weiter Gas zu geben.“
Wie war das für Sie – so jung Küchenchef werden, Verantwortung übernehmen, ein Team leiten?
„Das ist nicht mehr nur Kochen. Aber mein Bruder David hat mir viel geholfen. Er hat schon Erfahrung als Geschäftsführer, hat sein Kochstudio, schreibt Kochbücher. Er hat mich sehr unterstützt und mir viele Tipps gegeben. Lernen muss ich es trotzdem selbst. Aber ich habe durch ihn schon viel mitnehmen können.“
War es eher Vorfreude oder eher Respekt?
„Beides. Ich hatte grossen Respekt. Ich war vorher nie Küchenchef. Junior-Souschef ist etwas komplett anderes – da hast du nicht die gesamte Verantwortung für Mitarbeiter. Ich habe am Anfang unterschätzt, wie viel Arbeit das ist. Aber ich bin gut reingekommen. Ich liebe meinen Job. Ich möchte nichts anderes machen.
Und ich hatte grosse Freude, weil ich mein Team selbst zusammenstellen konnte – Leute, die ich kannte und die mit mir dieses Projekt starten wollten. Jeder in der Küche hat Sterneerfahrung. Das macht vieles leichter. Trotzdem müssen wir uns anspornen und immer besser werden – aber das ist überall so.“
Hilft es, jung zu sein, wenn man in so eine Position kommt?
„Jein. Es gibt vielleicht einen ‚Babybonus‘. Aber am Ende müssen wir trotzdem abliefern. MICHELIN gibt keinen Stern, weil man jung und süss ist. Wir sind ein sehr junges Team: Ich bin der Älteste mit 26, die anderen sind 20 bis 24. Unser Bar-Manager ist 21 und macht das grandios. Wir dürfen Erfahrung sammeln. Man muss der heutigen Generation diese Chance geben – sonst kommt irgendwann nichts mehr. Und weil wir so jung sind, geben wir viel Verantwortung ab. Ich glaube, wir liefern deshalb so gut ab – weil jeder extrem motiviert ist.“
Wie würden Sie den Kochstil im Soleil d’Or beschreiben?
„Unser Kochstil ist weltoffen mit französischer Technik. Und unser Konzept ist ein bisschen anders als das anderer Sterneküchen. Ich kenne niemanden, der ein ähnliches Konzept hat. Überall, wo ich gearbeitet habe, war es entweder modern französisch oder sehr regional wie bei Jan-Philipp. Mir persönlich war das irgendwann zu langweilig.
Wir haben immer ein Überthema. Alle zwei bis drei Monate gibt es einen Kartenwechsel – und der ist immer einem Thema zugeordnet. Unsere Idee ist: Der Gast soll nicht nur lecker essen, sondern intellektuell angesprochen werden. Mir passiert es oft, dass ich irgendwo super esse, aber die Gänge schnell vergesse. Mit einer Geschichte bleibt das anders im Kopf.
Unser aktuelles Menü war ‚Die Schweiz nach Höhenmetern‘. Wir starten bei 192 Metern und gehen von Gang zu Gang höher hinauf, bis wir bei 1.800 Metern sind, wo es nur noch wenig Lebensmittel gibt – Sanddorn, wilde Heidelbeeren, Flechten. Am Anfang hat man viel Flora und Fauna, und es wird immer weniger. Beim vorherigen Thema hatten wir ein Gemäldemenü, jedes Gericht zu einem Künstler. Beim ersten Menü ein Märchenmenü – etwa ein Zwischengang ‚Der Wolf und die drei kleinen Schweinchen‘ mit Pata Negra. Im Dessert ‚Hänsel und Gretel‘ – geräucherte Birne, Vanille, Kardamom, Lebkuchen.
Das nächste Menü startet im Dezember: Jules Verne – In 80 Tagen um die Welt. Die ersten Snacks sind London, Paris, Turin. Dann geht es ins Orientalische, dann Indien, Singapur, Hongkong, Japan, San Francisco, zurück nach London. Eine geschmackliche Weltreise.“
Wir bedanken uns für das Gespräch!
Illustration Image © MICHELIN Guide
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