Von Zürich kommend fährt man hinter Chur auf die Kantonsstraße Richtung Ilanz. Die Beschilderungen nach Davos oder Arosa hat man lange hinter sich gelassen, wenn das letzte kurvige Stück bis nach Vals zu bewältigen ist. Spätestens hier fallen einem die grünen Lastwagen auf, die sich auf der engen Straße am Gegenverkehr vorbeimanövrieren müssen, um das bekannte Valser Mineralwasser ins Tal zu transportieren. Jetzt ist die Fahrt nicht mehr lang. Nach einer engen Schlucht öffnet sich das Tal und wir befinden uns in einem der entlegensten Teile des Kantons Graubünden.
Vals: Ein Bergdorf wird zur Architekturikone
Auf 1252 Meter ü. M., umgeben von 3000 Meter hohen Felsformationen, liegt Vals. Ein Ort, der vor knapp 30 Jahren durch den Bau seiner 7132 Therme zu Weltruhm gekommen ist. Die Therme, von den Einheimischen in Auftrag gegeben und kurz „Felsentherme“ genannt, hat der Schweizer Stararchitekt Peter Zumthor entworfen. Das Gebäude, das die Elemente des Ortes – Berg, Stein und Wasser – architektonisch interpretiert und aus der Vorstellung entstanden ist, einzelne Felsblöcke aus dem Berg herauszuschneiden, sucht bis heute auf der Welt seinesgleichen und ist seit der Eröffnung 1996 Pilgerstätte für Architekten, Architekturinteressierte und Wellnessgäste aus aller Welt. Insgesamt 1.300 Tonnen des heimischen Quarzits wurden verbaut, sagenhafte 60.000 auf einen Meter Länge geschnittene Steinplatten bilden das Mauerwerk.
“Das Gebäude sucht bis heute auf der Welt seinesgleichen”
Auch der lokale Stein, der ursprünglich in Handarbeit gespalten und vor allem als Dachziegel benutzt wurde, hat mit der Therme Berühmtheit erlangt. „Unser Quarzit ist ein wunderschöner Stein, der graue Grundtöne hat und bei wechselndem Lichteinfall einen feinen, reizvollen grünen Schimmer zeigt“, erklärt Artemis Truffer, die dritte Generation der Truffer AG, die mich durch den imposanten Steinbruch und die Produktion am Ende des Ortes führt. Heute liefert das Familienunternehmen Maßanfertigungen in die ganze Welt und ist der drittgrößte Arbeitgeber in Vals. Insgesamt 600 Arbeitsplätze gibt es in dem 1000-Einwohner-Ort dank der Therme, des Valser Mineralwassers und des Valser Quarzits.
Dennoch: Vals ist trotz - oder wegen? - seines Ruhms ein so lebendiges wie sympathisches Schweizer Bergdorf geblieben. Die Valser selbst beschreiben ihren intakten Ort augenzwinkernd mit den Worten „1000/1000/1000“ - 1000 Einwohner, 1000 Gästebetten und 1000 Schafe. Luxusboutiquen? Sucht man in Vals vergeblich.
Einst isoliertes Tal
Ein kurzer Blick in die Geschichte des Ortes lohnt sich, denn Vals war lange weitestgehend isoliert. Die Valser wanderten im 14. Jahrhundert als Hirten und Bergbauern von Süden aus dem Oberwallis ein. Zur Versorgung mussten sie den beschwerlichen Weg über die Berge nehmen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde jene Straße gebaut, auf der man Vals heute ganz selbstverständlich erreichen kann. Bis dahin blieben die Bewohner mehr oder weniger auf sich gestellt. Gemeinschaft und Zusammenhalt sicherten den Valsern über sieben Jahrhunderte Leben und Existenz. Vor diesem Hintergrund lässt sich vielleicht erklären, warum sich die Valser in den 90er Jahren mit 85% Zustimmung mutig und progressiv dafür entschieden, Peter Zumthor mit dem Bau der neuen Therme zu beauftragen.
“Luxusboutiquen? Sucht man vergeblich”
An diesem Nachmittag Ende November stehe ich mit dem jungen sympathischen Bio-Landwirt Kevin Stoffel in einem seiner Ställe. Draußen fällt der erste Schnee. Der Wind wirbelt die dicken Flocken durch die Luft. Die Kühe mit ihrem hier typischen braunen Fell kauen Heu. Zwei Kälber gucken neugierig aus ihrem Verschlag in unsere Richtung. Ein paar Meter weiter im Hühnerstall legen Stoffels Hennen die Frühstückseier für Gäste aus aller Welt. „Täglich holt die Küche des 7132 Hotels bei mir Eier ab. Die Milch liefere ich, ebenso wie weitere acht Valser Bio-Höfe, an unsere Dorfsennerei“, erzählt Stoffel. In Form von Milch, Joghurt, Rotweinkäse oder Valser Mutschli (ein lokaler Halbhartkäse) findet man sie dann auch auf dem Frühstücksbuffet im 7132 Hotel oder im Verkaufsgeschäft im Ort.
Exklusivität und Komfort
Das 7132 Hotel ist „das“ Hotel in Vals. Im Oktober letzten Jahres wurde es mit zwei MICHELIN Keys ausgezeichnet und gehört somit in der Hotelselektion des Guide MICHELIN zu den herausragendsten Häusern der Welt. Neben der Therme und dem 7132 Hotel gehören zu diesem Ensemble noch das House of Architects, ein zweites Hotel und die erschwinglichere Alternative zum luxuriösen 7132 Hotel, sowie die exzellente Gastronomie. Von beiden Häusern gelangt man direkt zur Therme und hat während der Morgen- und Abendstunden exklusiven Zugang zu den Bädern. Das luxuriöse 7132 Hotel lässt in seinen 22 hellen, großzügigen Zimmern und Suiten keinerlei Wünsche offen. Im House of Architects haben vier international renommierte Architekten insgesamt 73 „kleine“ 20-Quadratmeter-Zimmer gestaltet, die extravaganter und unterschiedlicher nicht sein könnten.
Echtes Dorfleben im Winterparadies
Die Gäste besuchen Vals vor allem wegen der Therme - dabei hat der Ort noch viel mehr zu bieten. Das sich an einem Osthang im südlichen Teil des Dorfes befindende Skigebiet geht hoch bis auf fast 3000 Meter und verfügt dadurch über eine Schneesicherheit, die nicht vielen solch kleinen Gebieten gegeben ist. Tagestouristen gibt es kaum, die Kapazität der Lifte ist überschaubar und somit auch die Anzahl der Skifahrer auf den Pisten. Nach einer ersten Gondelbahn, die viel von (Schneeschuh-) Wanderern und Skitourengehern genutzt wird, reihen sich für Alpin-Ski-, Snowboardfahrer und Freerider drei Schlepplifte wie eine Perlenkette hintereinander den Hang hinauf. Als Gast des 7132 Hotels wird man nach individueller Absprache zum Lift gefahren und auch wieder abgeholt.Auch kann man ganzjährig an Dorf- oder Architekturführungen teilnehmen. Oder auch in echtes Dorfleben eintauchen. An jedem Freitag um 17 Uhr gibt es auf dem Dorfplatz den Brunnen-Apéritif, bei dem Gäste mit Einheimischen bei einem Glas Weißwein ins Gespräch kommen. Gleich neben dem Volg, dem lokalen Lebensmittelmarkt, findet man Aushänge für weitere Angebote, die vom Tourismusbüro ebenso organisiert werden wie von einem der zahlreichen Valser Vereine. Es gibt kaum einen Valser, der sich nicht in mindestens einem lokalen Verein engagiert. Theater, Konzerte, Jodelchor, Adventsbasar, Kochkurse - Gäste sind ausdrücklich willkommen.
Restaurant Silver: Ein Fest der Sinne
Der Hunger ist nach dem Tag im Schnee inzwischen so groß wie die kulinarische Neugierde. Ich habe eine Reservierung im Flaggschiff des Hauses, dem Restaurant 7132 Silver, das eines von nur 25 mit zwei MICHELIN Sternen ausgezeichneten Restaurants in der Schweiz ist. Der Niederländer Marcel Koolen hat hier seit eineinhalb Jahren die Küchenleitung inne und mit seiner kreativen, vegetabil geprägten Küche im Oktober die zwei MICHELIN Sterne bestätigt.
Es gibt ein 8-Gänge-Menü. Die Speisen sind auf der Karte rätselhaft benannt und werden sich - einmal serviert - als wunderbar stimmige Kompositionen entpuppen. So steckt hinter “Wattenmeer der Nordsee“ Muschel mit Kaviar und Jalapeño und hinter „Frisch aus Japan“ Gelbschwanzmakrele mit Gurke und Shiso. Der Hauptgang wird unter dem Namen „Von dem Valser Hof“ angekündigt, Pommern-Ente mit Mais und Brombeere. Hier ist das abgehangene Fleisch der Brust perfekt rosa gegart und äußerst zart. Dazu gibt es Mais und Zwiebel in unterschiedlichen Texturen, fermentierte Brombeere und eine geschmacksintensive Jus. Separat wird das zart konfierte Keulenfleisch mit etwas Entenlebercreme und fein gehobeltem, geräuchertem und getrocknetem Herz in einem krossen Mais-Taco serviert. Die Karkasse gibt es als Pho, eine Brühe, die mit Zimt, Nelke und Ingwer aromatisiert ist. Zu diesem geschmacksintensiven Hauptgang passt die von Gastgeberin Franziska Wölfle empfohlene 2015er Réserve de la Comtesse, der Zweitwein von Chateau Pichon Longueville in Pauillac, mit seiner Kraft und Intensität hervorragend.
„Aus dem Valser Wald“ nennt sich eines von zwei Desserts. Die Kombination aus kandierter Roter Bete, Meringue, einem Blaubeermousse, Sauerampfersorbet und Oxalis (Sauerklee) ist herrlich!
Glücklich könnte ich jetzt nach Canelé, Macaron und Praliné, dem finalen Gruß, ins Bett fallen. Aber ich habe noch etwas vor. Denn heute Nacht hat man als Hotelgast exklusiven Zutritt zur Therme.
Exklusiver Zutritt zur Therme bei Nacht
Ein Schild am Eingang macht drauf aufmerksam, dass man bitte schweigen möge. Dass ich keine elektronischen Geräte mit in die Therme nehme oder Fotos mache, hatte ich bereits bei Ankunft unterschrieben. Hier soll man durch nichts abgelenkt werden. Noch beschwingt von dem hervorragenden Essen betrete ich die Therme. Das monolithische Bauwerk mit dem durchgängig verwendeten Naturstein ist in seiner Art einzigartig und wirkt so zeitlos, dass es auch erst gestern hätte fertiggestellt worden sein können. Die Eisenablagerungen an mehreren Wasserhähnen, die das Quellwasser in drei Jahrzehnten hinterlassen hat, erinnern einen wieder an die Zeit. Ich schwimme im 36 Grad warmen Außenbad und beobachte den Wasserdampf, der mystisch in die kalte Winterluft steigt. Mein Blick richtet sich gen Sternenhimmel – das Dorf scheint nicht zu existieren.Später falle ich in meinem vom japanischen Architekten Tadao Ando gestalteten Zimmer im House of Architects ins Bett und erträume mir den nächsten Besuch. Ich werde mit Sicherheit wiederkommen und dann länger bleiben.
Illustration Image: Collage Pommern-Ente im 2-Sterne-Restaurant Silver, Blick aus der Therme, Balkone des 7132 Hotels © 7132 Hotel Julien Balmer