Feature 1 Minute 07 Dezember 2022

Liebe Feinschmecker, geht mittagessen!

Die Restaurants sind am Abend bereits ausgebucht? Sie haben zu spät an eine Reservierung gedacht und nun macht sich bei Ihnen die Enttäuschung breit, dass es mit dem tollen Abend, dem grandiosen Menü in der Location Ihrer Wahl nicht mehr klappt? Ich versichere Ihnen, dass Sie gelassen bleiben können. Jawohl, denn es gibt das Mittagessen. Lesen Sie, wie ich lernte, es zu lieben!

Was war ich erstaunt, dass meine Kollegen damals in Südfrankreich in der Mittagspause das Menü bestellten. Als gebürtige Deutsche isst man schnell eine große Portion, um die Auszeit mittags möglichst kurz zu halten.
Oder die Verabredung am Sonntag zum Mittagessen - für mich und auch die anderen war das kurz nach dem Aufstehen – bei der man immer die drei Gänge mit einem Espresso krönte. Ungewohnt!

Auch während meiner Zeit als Angestellte eines 3-Sterne-Restaurants in der französischsprachigen Schweiz war es mir ein Rätsel, wie man ein halbes Vermögen für ein Mittagessen ausgeben kann. Warum in aller Welt geht jemand freiwillig bei Tageslicht toll essen?
Ein Restaurantbesuch war unweigerlich mit dem Abend verbunden, mit großer Vorfreunde, die man den ganzen Tag genießen konnte, dann Ambiente mit Kerzenschein, viele Gänge, eine Flasche Wein zu zweit oder auch die Weinbegleitung. Danach ist man dann voll und überglücklich ins Bett gefallen. Es gab nichts Besseres - dachte ich!

Erkennen Sie sich wieder?

“Es ist mehr als Vorfreude - man hat etwas vor – und zwar sehr bald”

Das ist jetzt mehr als 10 Jahre her, die Erinnerung lebendig. Die Umstände (...zu spät reserviert, alle Abende ausgebucht) zwangen mich, meine Gewohnheit zu ändern: was für ein Ärger. Wirklich nur ein einziges Mal werde ich auf dem Niveau Mittagessen gehen, so mein Vorsatz damals.

Unser Tisch ist an einem Samstag für 12 Uhr reserviert. Bereits am Vormittag werfen wir uns in Schale. Jawohl – das geht tatsächlich auch für den Mittag! Der Tag ist jetzt schon gefüllt mit mehr als der Vorfreude - man hat etwas vor – und zwar sehr bald. Wir verabreden uns bereits vorab im Café und nehmen den Aperitif dort. Die Vorfreude multipliziert sich mit dem Glas Champagner: herrlich.

“Der Tag ist so frisch wie der Gaumen”

Im Restaurant angekommen, beginnt das Essen. Der Tag ist so frisch wie der Gaumen, die Stunden vergehen wie im Fluge. Auf ein Taschenkrebs-Effilochee und Seeigelcreme folgen eine Charlotte von Froschschenkeln mit weißem Trüffel sowie Bretonische Seezunge mit Muscheln, Safran und Linguini. Es geht weiter mit einem Corolle von bretonischem Hummer, Curry und Flageolett-Bohnen. Das Bresse Perlhuhn à l’Estragon im Hauptgang wird von einem bemerkenswerten 2005er Gevrey-Chambertin, Clos St. Jacques von Sylvie Esmonin begleitet. Keiner guckt einmal auf die Uhr, denn wir sind hellwach und der Kalender für den Rest des Tages leer. Als Abschluss gibt es ein perfektes Zitronensoufflée mit Sauce Orientale. Danach zum Kaffee traumhafte hausgemachte Pralinen. Als wir verabschiedet werden, ist es vielleicht 16 Uhr. Es ist Weihnachtszeit und es dämmert bereits. Der Tag neigt sich dem Ende. Wir sind beschwingt von Speisen und Wein und haben Zeit und Muße, die Eindrücke Revue passieren zu lassen. War jetzt die Seezunge besser oder der Hummer? Der Pinot Noir: einer der Besten, den wir bisher getrunken haben.
Auch an diesem Abend falle ich überglücklich ins Bett – schlafe aber deutlich besser und bin am nächsten Tag ausgeschlafen und ein Quäntchen glücklicher als sonst.

Sie wollen das auch mal ausprobieren? Klicken Sie hier für eine Liste aller Sternerestaurants, in denen Sie Mittagessen gehen können – und die höchstwahrscheinlich an den kommenden Wochenenden am Abend bereits ausgebucht sind.

Die Autorin des Artikels ist ehemalige MICHELIN Inspektorin und schreibt heute für unser Online-Magazin



Illustration Image © Roman Prysiazhniuk/iStock

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