Wie wurden Sie Inspektorin?
Wie die meisten Inspektoren komme ich aus dem Hotel- und Restaurantgewerbe. Meine Laufbahn könnte klassischer nicht sein: Nach der Hotelfachschule habe ich in vielen verschiedenen Restaurants gearbeitet, sowohl im Service als auch in der Küche. Ich habe auch ein paar Jahre im Ausland verbracht, wo ich für mehrere renommierte Häuser tätig war. Gleichzeitig wuchs meine Begeisterung für die Gastronomie. An meinen freien Tagen und im Urlaub waren und blieben die Restaurants meine Lieblingsbeschäftigung. Ich fuhr manchmal hunderte von Kilometern, um die Küche eines bestimmten Kochs zu probieren. Dabei war der Guide MICHELIN meine absolute Referenz. Und irgendwann sagte ich mir: „Warum schreibst du nicht einfach an den Guide MICHELIN, der wird doch auch nur von Menschen gemacht!“ Und das hat geklappt.
Wie lief das Einstellungsverfahren?
Die Einstellung erfolgt in zwei Etappen und ist für alle Inspektoren gleich: Zunächst eine Reihe von Gesprächen, in denen man uns die Anforderungen des Berufs nahe bringt. Alle Inspektoren sind fest angestellte Michelin Mitarbeiter. Unbestechlichkeit ist eine Grundvoraussetzung.
Dann kommt das Wichtigste: Man lud mich in verschiedene Restaurants ein (Bistros, Sternerestaurants usw.), um meinen „Geschmack“ zu testen. Ein ziemlich harter Test! Am Ende sagte mir der Chefredakteur, ich hätte „einen sehr sicheren Gaumen“. Das war ein tolles Kompliment für mich… und die Eintrittskarte zu einem neuen Leben.
Ihre ersten Schritte als Inspektorin?
Intensiv! Die Einarbeitung sieht bei allen neuen Michelin Inspektoren gleich aus: Sechs Monate lang ist man mit erfahrenen Inspektoren unterwegs und erst dann geht man alleine auf Tour. Sechs Monate des intensiven Austauschs mit routinierten Profis, die das Hotel- und Gaststättengewerbe unglaublich gut kennen … und Unmengen an Anekdoten erzählen können.
Ich habe während dieser Ausbildung noch viel dazugelernt. Denn unser Beruf beruht vor allem auf Erfahrung: Von Mahlzeit zu Mahlzeit bildet sich eine präzisere Werteskala heraus, die auf einer ganzen Sammlung geschmacklicher Erinnerungen basiert. Da bleibt kein Raum für Improvisation oder impulsive Urteile.
Die Leute stellen sich vor, dass Sie jeden Tag in Spitzenrestaurants speisen. Ein Klischee?
Ein Inspektor legt im Durchschnitt jährlich 30.000 km zurück, schläft 160 Nächte im Hotel und isst 250 Mal im Restaurant. Das ist also kein besonders erholsamer Beruf! Und es kommt natürlich auch vor, dass man schlecht isst, denn um gute Restaurants zu empfehlen, muss man auch schlechte getestet haben.
Wer sich vorstellt, wir würden nur in Sternerestaurants essen, liegt wirklich verkehrt. Letztere machen weniger als 20 % der im Guide MICHELIN aufgeführten Restaurantadressen aus und anders als viele meinen, empfehlen wir auch Bistros, kleine Gasthäuser usw. Wir bewegen uns nicht in einer Welt des Luxus, ganz im Gegenteil: Wir sind tagtäglich mit der Realität des Hotel- und Gaststättengewerbes in all seinen Formen konfrontiert. Und genau das macht diesen Beruf so interessant.
Wie sieht Ihr Alltag aus? Der typische Tagesablauf eines Inspektors?
Unsere Arbeit besteht in erster Linie darin, zu recherchieren und Informationen auf den neuesten Stand zu bringen. Jedes Jahr wird uns Inspektoren eine andere Region zugeteilt. Restauranteröffnungen, Schließungen, Neubewertungen usw.: Wir nehmen das alles genau unter die Lupe. Höhepunkte des Tages sind die Essen mittags und abends.
Ist das nicht ein sehr einsamer Beruf?
Sicher, wir essen oft alleine (nur nicht in Spitzenrestaurants, denn die testen wir zu mehreren, um nicht aufzufallen und unsere Eindrücke zu vergleichen), aber es sind dennoch die Begegnungen, die unseren Alltag prägen. In Europa ist das Hotel- und Gaststättengewerbe noch sehr familiär. Man erzählt mir von Hochzeiten, von Kindern, die das Geschäft übernehmen usw. Von den Schwierigkeiten, mit denen man in dieser Branche konfrontiert ist, aber mehr noch von den Erfolgen und Projekten. Wir begegnen Menschen, die ihren Beruf mit Leidenschaft ausüben und stets den Blick nach vorne richten.
Kommt es vor, dass man Sie erkennt, wenn Sie auf Tour sind?
Fragen Sie, wen Sie wollen, das Phantombild eines Michelin Inspektors sieht immer gleich aus: Ein Mann um die 50 mit einem dicken Bauch, Anzug und Krawatte. Das entspricht natürlich nicht der Realität! Jeder Inspektor ist anders, wir sind unterschiedlich alt, haben jeder einen anderen Stil… und sind auch nicht unbedingt dicker als ein Durchschnittsbürger. Jeder Gastronom wird es Ihnen bestätigen: So einfach lässt sich unsere Anwesenheit nicht ausmachen. Und sollte das doch einmal vorkommen, kann der Koch trotzdem nicht von einer Minute zur nächsten seine Art zu kochen radikal umstellen!
Machen Sie sich während des Essens Notizen?
Zunächst einmal esse ich. Mal verschlinge ich die Mahlzeit förmlich, mal genieße ich sie ausgiebig und manchmal greife ich auch etwas maßvoller zu. Die Freude, die man an der Mahlzeit hat, ist das, worauf es ankommt.
Ich analysiere natürlich auch, was ich empfinde (Frische der Produkte, Zubereitung, Gewürze, Finesse und Ausgewogenheit der geschmacklichen Verbindung usw.), aber ohne mir dabei Notizen zu machen. Man entwickelt mit der Zeit ein sehr präzises visuelles und geschmackliches Erinnerungsvermögen. Erst später schreibe ich dann einen detaillierten Bericht, in dem ich die gesamte Mahlzeit bewerte, vom Amuse Bouche bis zu den süßen Kleinigkeiten zum Abschluss, auf einer Skala von „Standard“ bis „3 Sterne“. Wie bei einem Film muss man manchmal eine gewisse Zeit verstreichen lassen, um den Eindruck, den ein Essen hinterlässt, richtig zu bewerten. Dieser Abstand ist wesentlich, um zu einem ausgewogenen und angemessenen Urteil zu finden.
Wie werden die Sterne vergeben?
Das ist eine große Verantwortung… und eine große Ehre! Aber die Vergabe eines Sterns ist keine individuelle Angelegenheit, sondern eine kollektive Entscheidung, die Frucht eines langen Prozesses. Wir verfolgen die Laufbahn des Kochs und die endgültige Entscheidung ist das Ergebnis mehrerer Essen durch verschiedene Inspektoren. Die Bewertung erfolgt jeweils vor dem Erscheinen des neuen Jahrgangs des Guide MICHELIN, im Rahmen der „Sterne-Konferenz“, bei denen der Directeur international des Guide MICHELIN, der Direktor sowie alle Inspektoren anwesend sind – und nur sie. Das Restaurant muss uns alle überzeugt haben. Ein Stern ist vor allem eine kollegiale Entscheidung!
Ist die Bewertung eines Gerichts nicht zwangsläufig subjektiv?
Natürlich, und es ist vor allem eine Sache der Freude, die man davonträgt. Zum Glück folgt diese Freude gewissen Regeln, die man mit anderen teilen kann. Dabei ist klar, dass es uns Inspektoren nicht darum geht, nach unseren persönlichen kulinarischen Vorlieben zu urteilen, sondern danach, ob eine Küche gut gemacht ist oder nicht, indem wir uns in die Lage des Gastes versetzen. Von traditionell bis innovativ, von schlicht bis aufwändig – ganz unabhängig vom Küchenstil erwarten wir immer das Gleiche: beste Produktqualität, Know-how des Küchenchefs, Originalität der Gerichte sowie Beständigkeit auf Dauer und über die gesamte Speisekarte hinweg. Dank dieser präzisen Kriterien und dank des Austauschs unter den Inspektoren findet man letztendlich zu einer objektiven Beurteilung. Der Beweis: Die Sterne sind inzwischen eine unumgängliche Referenz.
Was schätzen Sie an Ihrem Beruf besonders?
Da gibt es vieles… Die Freude am Entdecken, das Teilen meiner Erfahrungen. Aber auch das Reisen, denn bald werde ich dieses Land wie meine Westentasche kennen und ich arbeite immer öfter auch in anderen Ländern Europas und der Welt. Ich entdecke tagtäglich neue Landschaften und habe immer wieder neue Geschmackserlebnisse. Die Leidenschaft für die Gastronomie ist unerschöpflich!
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