MICHELIN Guide Ceremony 4 Minuten 17 Juni 2025

Der dritte MICHELIN Stern: Urteil aus erster Hand

Exklusiv: Zwei Inspektoren sprechen über die Restaurants Haerlin in Hamburg und Tohru in der Schreiberei in München.

Das Restaurant Haerlin in Hamburg und das Tohru in der Schreiberei in München sind Deutschlands neue 3-Sterne-Restaurants. Christoph Rüffer und Tohru Nakamura sind damit in den Olymp der Spitzenköche aufgestiegen. Die Online-Redaktion hat sich die Testberichte beider Restaurants einmal genauer angeschaut und kurz vor der Vergabe der neuen Sterne mit zwei von insgesamt zehn Inspektoren gesprochen, die im letzten Redaktionsjahr in München und Hamburg waren. Die Aussagen gerade dieser Kollegen sind deshalb so interessant, da sie beide Küchen in den letzten Jahren mehrfach degustiert haben und daher aus persönlicher Sicht benennen können, was jetzt genau den Unterschied macht.

Mehr als 40 Essen in zehn Jahren

Haerlin tippt man in die Suchmaske der Datenbank. Sofort erscheinen Adresse, Bildmaterial, Leserbriefe und auch die sagenumwobenen Dossiers, wie die Testberichte genannt werden. Mehr als fünf steht da beim Restaurant Haerlin. Ein Klick und es erscheinen knapp 30 Testberichte der letzten zehn Jahre. Im aktuellen Redaktionsjahr wurde sechs Mal im Haerlin gegessen. Rüffer kocht seit 2002 im Haerlin, das noch unter seinem Vorgänger Hans-Peter Engels Ende 2001 mit einem MICHELIN Stern ausgezeichnet wurde. 2012 wurde das Haerlin unter Rüffers Leitung mit zwei MICHELIN Sternen geadelt. Seit heute gehört es zu den besten Restaurants der Welt. Es sind viele Testberichte zu sichten.

“Man wünscht sich, dass das Essen niemals mehr endet”

Tohru in der Schreiberei ist dagegen ein verhältnismäßig neues Restaurant, der Koch aber ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt. Bis 2020 kochte Tohru Nakamura im Werneckhof in München, der 2014 mit einem Stern und von 2016 an unter seiner Leitung mit zwei MICHELIN Sternen ausgezeichnet wurde. Der erste Eintrag im System für das Tohru in der Schreiberei ist eine Notiz aus dem November 2021. „Wir haben jetzt den 01.12.2021 als ersten offiziellen Service festgelegt“, informiert Nakamura die Redaktion. 14 Tage später kommen zwei Inspektoren aus München zurück. Notiert haben sie in der Zusammenfassung ihres Testberichts „Ohne Zweifel auf 2-Sterne-Niveau. Potential für drei Sterne erkennbar“. Als Highlights nennen sie in den Berichten beispielsweise Balfegó Thunfisch, Kimizu, Rettich und Mohn oder Weißer Heilbutt, milde Habanero, Encornet, Pilpil und Artischocke. Im März 2022 wird das Tohru in der Schreiberei auf Anhieb mit zwei MICHELIN Sternen ausgezeichnet. Mehr als ein Dutzend Essen wurden seit der Eröffnung von unseren Inspektorinnen und Inspektoren durchgeführt.

Küchenchef Christoph Rüffer, 3-Sterne-Restaurant Haerlin, Hamburg © Wim Jansen
Küchenchef Christoph Rüffer, 3-Sterne-Restaurant Haerlin, Hamburg © Wim Jansen
Küchenchef Tohru Nakamura, 3-Sterne-Restaurant Tohru in der Schreiberei, München © Tohru in der Schreiberei
Küchenchef Tohru Nakamura, 3-Sterne-Restaurant Tohru in der Schreiberei, München © Tohru in der Schreiberei

Die Entwicklung

Die ersten Gerichte auf 3-Sterne-Niveau im Tohru in der Schreiberei werden von einem Inspektor nur wenig später im Juni 2022 verzehrt: Gamba Roja, Erbse, Holunder, Herz- und Stabmuscheln und Ozaki Wagyu, Spitzkohl, Kombu, Yuzu und Wasabi sowie Spargel, Koshihikari, Sakura, Mandel und Koji - drei von insgesamt zehn Gerichten des Menüs. Fünf Mal gehen die Inspektorinnen und Inspektoren daraufhin in den nächsten zwei Jahren hier essen. Sie sind begeistert und schwärmen unter anderem von Lachsforelle, Fermentierte Zwetschge, Yuzu Kosho und Encornet, Nanatsuboshi (japanischer Rundkorkreis aus Hokkaido), Royal Belgian Caviar, Ingwer & Koji und Nanbanzuke, Rotbarbe, Grüner Spargel und Balfegó Thunfisch. Für den dritten Stern reicht es jedoch (noch) nicht – weder im Guide MICHELIN 2023 noch in der Ausgabe 2024.

Ebenfalls kurz nach der Vergabe des zweiten Sterns an das Haerlin im November 2012 - also nur ein Jahr später - notieren zwei Inspektoren nach ihrem Essen Folgendes: „Wir haben heute Abend eine sehr exakt zubereitete und durchdachte Küchenleistung erlebt, die dezente Ansätze für den dritten Stern zeigte.“ Die Highlights aus dem Menü von damals sind Gebeizte Makrele, Nordseekrabben mit Aalbrandade in Dillvinaigrette – „Ein geniales Gesamtwerk von Optik und Geschmack“ - sowie der Zwetschgenschaum mit Butterstreuseln und Joghurt-Ingwersorbet. Als grandios beschrieben in einem Bericht von 2014 ist auch Dänischer Kaisergranat mit Tonkabohne und Gelbe Bete in Holunderblütenvinaigrette. In den darauffolgenden Jahren schwärmen die Testesser zudem von Rücken vom Black Angus Rind, Nussbutterbrösel, Zwiebelcreme und Morcheln (2015), von Juvenilferkel mit Gurke, Dill und Senf (2017), Forelle mit Kombu-Beerentee, Basilikum, Walnuss (2019), Geschmorte Victoria-Ananas mit Sauerampfer & Kokos (2020) und Helgolandhummer mit Kokosnuss, Verveine und Kaffee-Öl (2022). „Rüffer kocht auf starkem 2-Sterne-Niveau“, wird quasi in jedem Bericht konkludiert.

Drei MICHELIN Sterne - Unbedingt nachgehen

Ende 2023 ist es dann soweit. Eine Inspektorin schreibt nach ihrem Essen im Haerlin erstmals explizit „unbedingt nachgehen“. Diese Aussage impliziert, dass sie besser gegessen hat, als es die aktuelle Bewertung hergibt und jetzt weitere Meinungen gefragt sind, um den Sprung in die Top-Liga bis zur nächsten Sternevergabe zu bestätigen. Testessen werden terminiert, die allesamt zu demselben Ergebnis kommen: drei MICHELIN Sterne. Deichlamm in Zitronen-Kapernjus mit Pfifferlingen & geschmorte Schulter mit Kräuterhollandaise; Rehrücken, Haselnüsse und Topinambur, Maronen-Tortelli mit Topinambur, Sherrysud und weißen Alba-Trüffeln (2024) und Felsenrotbarbe mit gegrillter Paprikasabayon, Crocus-Polenta & Sauce Pastis (2025) sind einige der Kompositionen aus Rüffers Küche, die jetzt einstimmig von den MICHELIN Inspektorinnen und Inspektoren mit der Höchstnote bewertet wird.

Mitte 2024 liegt auch ein klares Ergebnis im Tohru in der Schreiberei vor. Der Inspektor schließt seinen Bericht mit den Worten „Für mich war das Essen eine Reise wert, klare drei Sterne, für die wir jetzt nachgehen sollten“. Jetzt folgen auch hier weitere Essen noch bis ins Frühjahr dieses Jahres, die alle das Spitzenniveau bestätigten. Inspektoren aus vier Nationen reisen nach München. Die Kompositionen unter anderem: Ozaki Wagyu & Räucheraal, Bete, Sansho, Kefir & Johannisbeerholz; Carabinero - Langoustine, Crevettes & Kimizu (2024), Muscheltoast, Jakobsmuschel, Auster & Herzmuschel  und Kalbsbries, Kimchi blanche & Don Bocarte Anchovis (2025). Alle überzeugen.

Nach der Sternekonferenz ist klar: Deutschland wird im Guide MICHELIN 2025 zwei neue 3-Sterne-Restaurants haben. Das letzte Mal ist vor 18 Jahren mehr als ein Restaurant in den Olymp aufgestiegen.

Und warum genau jetzt? Zwei Inspektoren über die Entscheidung

Wir greifen zum Telefonhörer. Ein Inspektor war seit der Eröffnung zwei Mal im Tohru in der Schreiberei – 2021 und 2025. In seinem letzten Testbericht hat er festgehalten, dass er im letzten Essen eine glasklare Steigerung erkennen konnte. „Die Produkte sind absolute Spitzenklasse. Die Kompositionen sind komplex, dabei durchdacht und durchweg harmonisch. Die Küche mit französischer Basis und Elementen der japanischen Küche ist jetzt schlichtweg hervorragend“. Was genau die entscheidende Entwicklung war, fragen wir am Telefon. „Mein letztes Essen bei Nakamura war nochmal deutlich besser als bei früheren Besuchen (Anmerkung der Redaktion: auch im Werneckhof). Die Produkte waren schon vorher erstklassig und auch eine eigene Handschrift war früh zu erkennen. In der Vergangenheit waren zwar einzelne Gerichte auf Top-Niveau, aber das Menü insgesamt war nicht perfekt ausbalanciert. Es war einfach die eine oder andere Zutat zu viel auf dem Teller oder auch der eine oder andere Gang im Menü, der in der Vergangenheit nicht vollends überzeugte. Nun aber war die Balance über den ganzen Abend hinweg perfekt!“

Auch beim Restaurant Haerlin gibt es einen Namen aus dem Inspektorenteam, der in den Dossiers gleich dreimal auftaucht - 2016, 2021 und 2024 –, und die Leistungssteigerung nachvollziehbar macht. „Wirklich überraschend, wie reduziert die Zubereitungen im Vergleich zu den letzten Besuchen waren. Mein mit Sicherheit bestes Essen hier, klar auf 3-Sterne-Niveau. Die Produkte sind von hervorragender Qualität, die Technik top, die Saucen und Fonds haben eine ungeheure Tiefe und Kraft; Rüffer hat jetzt seinen eigenen Stil“, steht in dem letzten Bericht.
Am Telefon sprudelt es aus der Kollegin hervor. „Handwerk und Produktqualität sind im Haerlin seit 20 Jahren top. Die Konstanz hat sich verändert. Das Niveau ist jetzt von den ersten Snacks bis hin zu den Petits Fours über das gesamte Menü hinweg stabil auf Spitzenniveau. Rüffer hat das geschafft, indem er sich reduziert hat und jetzt einfach souveräner kocht. Er lässt jetzt Dinge weg. Das schafft konstant toll balancierte Gerichte, die Ausdruckskraft und klare Aromen zeigen. Mit dem Ergebnis, dass man im Haerlin sitzt und sich wünscht, dass das Essen niemals mehr endet.“



Illustration Image: Restaurant Haerlin, Hamburg © Wim Jansen 

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