Travel 5 Minuten 09 Oktober 2024

Inside Wilmina: Das vielleicht spannendste Hotel Berlins

Ein Aufenthalt im 1-Key-Wilmina Hotel in Berlin-Charlottenburg. Und eine Geschichte über die meisterhafte Transformation, die dem ehemaligen Frauengefängnis ein neues Leben geschenkt hat.

Hier finden Sie die offizielle Bewertung des Wilmina Hotels durch unser Inspektoren-Team. Im Folgenden schildert eine Autorin ihre persönliche Erfahrung in diesem einzigartigen 1-Key-Hotel in Berlin.

Unmittelbare Vorfreude spüre ich, als ich am Berliner Hauptbahnhof die Rolltreppe hochfahre, um die S-Bahn Linie 7 zu nehmen. Gerade einmal neun Minuten sind es von hier gen Westen bis nach Berlin-Charlottenburg, vorbei an der Spree, der Siegessäule und dem Zoologischen Garten.
Westen? Gab es nach der Wende ungenutzte Flächen und Räume für kreative Projekte nicht vor allem im ehemaligen Osten der Stadt? „Tatsächlich konnte man sich nicht vorstellen, dass es hier in West-Berlin im Jahr 2010 noch so ein gänzlich unbekanntes Areal zu entdecken gab. Das fanden wir schon echt spannend“, sagt Almut Grüntuch-Ernst, die das Gebäude gemeinsam mit ihrem Mann Armand Grüntuch – beide als Bauherren und Architekten - umgebaut hat und betreibt.

Zu dem Zeitpunkt stand das ehemalige Gericht aus dem Jahr 1896 mit der dahinterliegenden Justizvollzugsanstalt 27 Jahre lang leer. Im Zweiten Weltkrieg waren hier Frauen inhaftiert, fast immer aus politischen Gründen. Danach wurde es zur Jugendarrestanstalt, bis es 1985 geschlossen und dann quasi bis zum Verkauf im Jahr 2010 vergessen wurde. Im Jahr 1995 hat sich das Land Berlin einmal mit der Kantstraße 79 befasst und das Ensemble im Zuge der Verabschiedung eines neuen Denkmalschutzgesetzes in die Denkmalliste der Stadt eingetragen.

Aber was macht man aus einem Knast? Aus der Idee eines Investors, die Zellen für „Selfstorage“ zu nutzen, ist Gott sei Dank nichts geworden. „Wenn man sich mit Raumtypologie in der Architektur beschäftigt, ist die modulare Raumordnung eines Zuchthauses nicht unähnlich der eines Klosters oder eben auch eines Hotels“, sagt Grüntuch-Ernst. Tatsächlich gibt es in der Welt eine Reihe umgewandelter Zuchthäuser. Ein prominentes Beispiel ist das Four Seasons Hotel Istanbul at Sultanahmet, ein anderes das NoMad in London. So ungewöhnlich wie die Idee eines Hotels für ein Gebäude dieser Art also klingen mag, ist sie gar nicht.

Aber wie verwandelt man einen Ort der zwanghaften Isolation und erhält gleichzeitig seine bewegende Geschichte?

Wilmina Hof II und Garten © Wilmina
Wilmina Hof II und Garten © Wilmina

Ein kurzer Fußmarsch führt mich vorbei an einem asiatischen Supermarkt, Ali Döner und einem Späti an der Ecke. Jetzt bin ich auf der Kantstraße – eine der bedeutendsten Straßen Berlins und wichtige westliche Verkehrsader. Vor einer Kneipe wird Berliner Kindl getrunken. Drei Blocks dürften es eigentlich nur noch sein bis zur Hausnummer 79 und dem 2022 eröffneten Wilmina Hotel.

Ich spreche einen Herrn an, der gerade mit seinen Einkäufen vom Rad steigt. „Den ehemaligen Frauenknast suchen Sie? Da drüben! Na, dann süße Träume!“ sagt er mit viel Ironie und amüsiert sich über seinen Scherz.

Meinen Blick jetzt nach oben gerichtet, nehme ich das im 19. Jahrhundert freistehende und heute von Wohnhäusern umgegebene Hauptgebäude wahr, die wunderschöne Fassade mit frei verwendeten Formen der Hochrenaissance und architektonischen Gliederungen in Sandstein. In der historischen Toreinfahrt auf der rechten Seite, die früher zum Gefängnis führte und heute zum Hotel, sehe ich den Schriftzug „Wilmina“.

Fassade des Gerichtsgebäudes © Le Guide MICHELIN
Fassade des Gerichtsgebäudes © Le Guide MICHELIN

Ich bin da - an diesem einzigartigen Ort. Und ich habe hohe Erwartungen. Das Wilmina Hotel wurde gerade mit einem MICHELIN Key ausgezeichnet und gehört somit in der Hotelselektion des Guide MICHELIN zu den herausragendsten Häusern der Welt.

Gastlichkeit auf höchstem Niveau erfahren in einem Gebäude mit derart bewegter Geschichte, das 90 Jahre als Strafraum diente und in dem im Zweiten Weltkrieg ab 1941 Regimegegner und Widerstandskämpfer verwahrt wurden?

„Bei der allerersten Begehung war der Ort schon sehr beklemmend“, erinnert sich Almut Grüntuch-Ernst im Gespräch mit dem Guide MICHELIN. „Es war ein trister, dunkler Tag, der Ort verlassen und vergessen und das Gewicht dieser schweren Geschichtswolken war deutlich zu spüren. Gleichzeitig hat uns fasziniert, dass die Pflanzen hier seit 1985 ohne Gärtner einfach weitergedeihen konnten. Und dazu eben diese unerwartete Ruhe. Wir haben Potential gesehen für einen Ort des freiwilligen Rückzugs.“

Was wird das Gebäude und dieser Aufenthalt mit einem machen? Hat der Herr mit Berliner Schnauze doch Recht und werden mich beklemmende Träume plagen?

Der Lärm der Kantstraße hallt noch im Ohr und die Hitze der Stadt liegt noch auf meiner Haut. Mit dem Eintritt in den Hof stellt sich plötzlich Ruhe ein. Ab hier ist das Areal jetzt exklusiv den Übernachtungsgästen vorbehalten. Die äußerliche Stille wird zur inneren Ruhe. Der Blick öffnet sich und ein wunderschöner verwunschener Garten liegt da. Eine Biene surrt und setzt sich auf der weiß blühenden Herbst-Anemone nieder. Daneben wachsen Farne, Tafelblatt und Nelkenpfeffer, Essigbäume spenden Schatten und Efeu rankt an den Mauern. Man ist an einem kontemplativen Ort, einer Oase der Ruhe und des Grüns angekommen - mitten im lebendigen Berlin.

Eingangsbreich - Wilmina Gartenlobby © Wilmina
Eingangsbreich - Wilmina Gartenlobby © Wilmina
Wilmina Lounge mit Photographie „Licht und Zeit“ von Hans Christian Schink © Wilmina
Wilmina Lounge mit Photographie „Licht und Zeit“ von Hans Christian Schink © Wilmina

Ich gehe durch die schwere Eingangstür und betrete einen hohen, friedvollen und offenen Raum, der so gar nicht an Gefängnis erinnert. Der Weg zu meinem Zimmer führt an der Lounge vorbei, in der die Häftlinge früher aufgenommen wurden und ihre letzten Gegenstände abzugeben hatten. Hier hängt noch der Original-Schlüsselkasten, in dem die nummerierten Haken der damals 70 Zellen und alte Notizen vom einstigen Gebrauch erzählen. Heute ist hier ein Treffpunkt, ein Ort der Gemeinschaft, an dem sich die Gäste begegnen, wenn sie sich in der sorgfältig bestückte Küche 24 Stunden am Tag mit Obst, Kaffee, Tee und Getränken versorgen.

Mein Zimmer liegt in der vierten von insgesamt fünf Etagen. In der Transformation wurde die schwere Zellentür behutsam ertüchtigt, um modernen Standards von Schall- und Brandschutz zu entsprechen. Hier wurden zwei Zellen zusammengefasst und die kleinen Gitterfenster von damals sind zu großzügigen Lichtöffnungen geworden. Ein offener, lichtdurchfluteter Raum ist entstanden, dessen Einrichtung stilvoll mit geraden Linien, viel Weiß und Sandtönen freundlich und einladend gestaltet ist. In Glas gefasste, gepresste und getrocknete Blätter und Blüten aus dem Garten dekorieren die Zimmer, eine gemeinschaftliche Arbeit der Familie Grüntuch-Ernst.

Mein Badezimmer ist in einem lichten Erker untergebracht, von dem aus früher ein Wärter die Häftlinge im Hof beobachtete. Ich stelle meinen Koffer ab und halte inne. Ein positives Gefühl stellt sich ein. Ich fühle mich wohl.

Classic Zimmer © Wilmina
Classic Zimmer © Wilmina
Badezimmer im Garden Loft © Wilmina
Badezimmer im Garden Loft © Wilmina

Den brandneuen Fahrstuhl nehme ich erst wieder, wenn ich abreise. Zu vieles gibt es im Treppenhaus und den Gängen der unterschiedlichen Etagen zu entdecken: Scharniere, alte Handläufe, Luken, Türen aus dem 19. und 20. Jahrhundert...
Mit der Transformation zum Hotel ist zeitgemäße Kunst hinzugekommen wie zum Beispiel Photographien von Hans Christian Schink, dessen Thema „Licht und Zeit“ hier nicht besser her passen könnte. Vor der hell geschlämmten Wand im hohen Luftraum leitet ein wundervolles Kunstwerk aus Bocci-Lampen den Blick nach oben ins Licht. Die Öffnung des Dachs ist Teil des modernen Aufbaus. Aufgesetzt auf die historische Substanz beherbergt eine neue Etage vollverglaste Penthouse-Suiten und eine einzigartige Dachterrasse und bildet einen gewinnenden Kontrast zu dem historischen Backstein.

„Die neue Etage hat uns auch erlaubt, die Dachfläche als Aufenthaltsraum neu zu formulieren. Den geschützten, grünen und umschlossenen Räumen konnten wir eine Freifläche mit Blick über die Dächer Berlins hinzufügen“, sagt Almut Grüntuch-Ernst.

Wilmina Atrium (© Wilmina) und Wilmina Hof II mit blühenden Herbst-Anemonen  (© Le Guide MICHELIN)
Wilmina Atrium (© Wilmina) und Wilmina Hof II mit blühenden Herbst-Anemonen (© Le Guide MICHELIN)
Penthouse Etage und Dachterrasse © Le Guide MICHELIN
Penthouse Etage und Dachterrasse © Le Guide MICHELIN
Dachterrasse mit Pool (© Wilmina) und Treppenhaus mit Bocci-Lichtinstallation (© Le Guide MICHELIN)
Dachterrasse mit Pool (© Wilmina) und Treppenhaus mit Bocci-Lichtinstallation (© Le Guide MICHELIN)

Auf der Dachterrasse befindet sich auch der Zehn-Meter-Pool mit teilverglastem Boden, durch den das im Wasser brechende Sonnenlicht kunstvoll in die unteren Geschosse fällt. (Umkehrt kann man auch Schwimmer von unten beobachten.) Überhaupt wurde hier viel geöffnet. Das Gebäude ist jetzt durchlässig und hell.
Bei hochsommerlichen Temperaturen und absoluter Stille hier oben erinnert einen nur der Blick auf den Funkturm daran, dass man in der Hauptstadt ist. Ein Paar kühlt sich nach einem Saunagang im Pool ab. Ich probiere vom bereitstehenden Eistee. Langsam sinkt die Sonne und ihre Strahlen fallen jetzt ausschließlich noch in die Zimmer der obersten Etage. Eine Ahnung trifft mich, wie finster es früher für die Insassen hinter kleinen Gitterfenstern zu dieser Uhrzeit gewesen sein muss.

Sonnenstrahlen fallen in die oberste Etage © Le Guide MICHELIN
Sonnenstrahlen fallen in die oberste Etage © Le Guide MICHELIN

Ich verweile nicht in der Vergangenheit, nicht jetzt. Denn es ist Zeit für einen Aperitif. Ich lasse mich im Innenhof auf der Terrasse vor der Bar nieder und bestelle die No. 71, eine Kreation aus Traube, Holunderblüte und Himbeere. Danach esse ich im hoteleigenen, im Guide MICHELIN empfohlenen Restaurant Lovis, das sich im einstigen und nun überdachten Schleusenhof befindet, ein fabelhaftes 4-Gänge-Menü. Nach Radieschen, Sauerrahm, Gurkensud und Dill folgt ein goldgelber, kross gebackener Mais-Flan mit Tomatillo-Jalapeño-Salsa und Beurre Blanc sowie glasierter Schweinbauch mit Apfel-Kimchi und Koriander. Küchenchefin Sophia Rudolph und ihr Team bieten eine tolle gemüseorientierte Küche, die von vielen Berlinern geschätzt wird - und auch Gästen wie mir.

Cocktail in der Lovis Bar © Zoe Spawton
Cocktail in der Lovis Bar © Zoe Spawton
Restaurant Lovis im ehemaligen Schleusenhof © Wilmina
Restaurant Lovis im ehemaligen Schleusenhof © Wilmina
Gebackener Mais-Flan, Tomatillo, Beurre Blanc ©  Wilmina
Gebackener Mais-Flan, Tomatillo, Beurre Blanc © Wilmina

Zufrieden liege ich an diesem Abend auf meinem Bett und schaue durch die offenen Fenster in den dunklen Berliner Nachthimmel. Ich denke an die vielen Schicksale der Menschen, deren Leben hier im letzten Jahrhundert geprägt wurde.
Und ich denke an die Familie Grüntuch-Ernst, die sich dieses Projekt zu eigen gemacht hat und diesen Ort mit größter Sorgfalt und Engagement zu einem neuen Leben erweckt hat und dabei erfolgreicher Gastgeber geworden ist.


Illustration Image: Zimmer 407 im Hotel Wilmina © Le Guide MICHELIN

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